Hanna, 17, MOMO-Mitglied

 

Warum bist du von deiner Familie weg?

Na ja, es gab halt familiäre Probleme, und ich hatte auch viele Probleme selber mit mir irgendwie und mit meiner Schule, mit dem Lebensstil und ganz vielen anderen Menschen und habe mich irgendwie nicht so ganz wohl in der Gesellschaft gefühlt...

 

Und bist du dann irgendwann mal hier in Jamlitz gelandet?

Ja genau! Ich war auf der zweiten Straßenkinderkonferenz, und die hat mich recht beeindruckt. Ich habe damals bei „Basis und Woge“ in Hamburg so ein bisschen die Facebook-Redaktion gemacht und war schon immer politisch sehr interessiert, habe gern mitgeredet. Die Konferenz, die fand ich ziemlich cool. Dann wurde ich von einer Freundin dazu überredet, mit nach Jamlitz zu kommen, um mir das mal anzugucken. Das hat mir von echt gut gefallen, und dann bin ich halt immer regelmäßiger zu den Arbeitstreffen gefahren. Mittlerweile bringe ich mich bei KARUNA und auch MOMO stark ein, habe mega viel Spaß an der Sache. Es ist ein  extrem tolles Projekt, dass man jetzt endlich den Leuten, die sich vielleicht am besten in die Situation reinfühlen können, die am besten beurteilen können, was in dem System falsch läuft, endlich auch mal ein Sprachrohr vermittelt, und dass das nicht irgendwie andauernd von irgendwelchen Menschen in der Politik getragen wird, die vom echten Leben gar keinen Plan haben.

 

Wie läuft denn das bei den MOMO’s in Hamburg so ab?

MOMO ist halt ein offenes Ding, das ist ein Projekt, bei dem viele Menschen mitwirken können, die Lust drauf haben, die vielleicht auch selber Erfahrungen mit der Straße gemacht haben und oder auch einfach generell interessiert sind und gern Menschenarbeit machen. Bei den Arbeitstreffen kann jeder vorbeischauen, der möchte, kann sich das angucken, es verpflichtet zu nichts. Aber wenn dieser Mensch öfter erscheint und Lust hat, Mitglied zu werden, dann kann er sich, wenn er dreimal gekommen ist, zum Mitglied oder Berater wählen lassen, je nachdem, in welcher Rolle er sein möchte. Dann engagiert man sich hier und bereitet sich auf die Konferenzen vor und macht ganz viel Politik und Teilhabe.

 

In den regionalen Büros (Berlin, Hamburg und Jamlitz) ist es so, dass man eine Anstellung über den Bundesfreiwilligendienst kriegt und dann ein Jahr oder bisschen länger, je nachdem, wie viel Tage man sich einträgt, aktiv in dem Büro arbeitet. In Hamburg, wo ich auch arbeite, bringen sich die MOMO’s extrem viel in die Politik und Zivilgesellschaft ein, MOMO ist dort sehr angesehen. Wir werden öfter zu politischen Veranstaltungen eingeladen, haben auch schon im Rathaus gesprochen bei dem Kinderarmutskongress. Wir sind an vielen Projekten beteiligt, wir werden oft zu Rate gezogen.

 

Wir machen auch ganz viel Zivilgesellschaftliches. Ein kleines Projekt, von dem ich immer gern erzähle ist zum Beispiel die Situation am Hauptbahnhof. Da gibt es unentgeltliche Toiletten für Männer, aber es gibt für Frauen, die ja genauso ihren Lebensmittelpunkt am Hauptbahnhof haben, keine Möglichkeit, irgendwie ihr Geschäft zu erledigen, ohne Geld zu bezahlen. Das ist uns irgendwann mal aufgefallen, wir finden das eine totale Frechheit und dachten uns, warum wenden wir uns nicht mal ganz offiziell mit MOMO an die Stadtverwaltung, an die Politik, und fragen, weil das ist ja Scheiße...

 

Du stehst mittlerweile häufig in der Öffentlichkeit...

Ich möchte’ auch nicht in diese Opferrolle von den Medien gedrückt werden, weil das bin ich definitiv nicht – ich möchte aktiv was verändern, ich möchte nicht einfach das arme Straßenkind sein, das ich auch nicht bin. Es gibt ganz viele Menschen, die sehr viel Schlimmeres erlebt haben und die aber einfach keine Kraft mehr haben, sich damit auseinanderzusetzen, die einfach nicht mehr das machen können, was wir machen. Und deshalb finde ich es wichtig, dass wir das machen, dass wir uns Gehör verschaffen. Aber ich find’s auch nicht schön, immer so in den Mittelpunkt gerückt zu werden.

 

Du hast hier einen Workshop geleitet?

Mein Workshop war ‚Wohnen’, das ist ein riesengroßes Thema, nicht nur für die Obdachlosen und die Straßenkinder, sondern eigentlich für alle Menschen, die auf der Welt leben, weil Wohnraum immer komplexer wird, in den Großstädten immer weniger zur Verfügung steht. Mittlerweile gibt’s extrem viele tolle, coole Projekte und Initiativen und Modelle, in denen man leben kann, die total genial sind. Ich denke, man sollte nicht nur in der Jugendhilfe umdenken, was Wohnraum bedeutet, man sollte generell umdenken, wie wir wohnen.

 

Wie lief der Workshop?

Er lief ganz gut. Wir waren eine Gruppe, die sich schon kannte, was für den Ideensammlungsprozess vielleicht ein bisschen schlechter war, weil wir sehr viel besser einschätzen können, wer wie tickt, weniger erklärt haben und sich dadurch eine Struktur entwickelt hat. Aber trotzdem haben wir schon gut rumgesponnen, haben ein tolles Modell entwickelt und hoffen, das könnte vielleicht auch als ein kleines Housing First-Modell wirken.

 

Im Workshop waren wir alle Menschen, die recht naturbezogen sind und sehr viel Wert auf Privatsphäre legen. Aber wir haben auch gemerkt, dass es total wichtig ist, einen Veranstaltungsrahmen zum Beispiel zu haben oder zu geben. Oder auch genossenschaftlich, gemeinsam und solidarisch in dieser Gesellschaft zu stehen, dass ist auch mehr als wohnen, sondern ist eher ein Lebensraum, den man gemeinsam gestaltet. Da waren für jeden individuell unterschiedliche Dinge sehr wichtig, die man zum Leben braucht.

 

Uns war allen wichtig, dass wir trotzdem – wir sind sozusagen auf einem ländlichen Areal – gerne Anbindung an die Stadt und Gesellschaft haben würden, uns dort aber selber autonom irgendwie verpflegen würden. Wir würden Sozialarbeiter oder Psychologen haben – es müssen aber nicht nur ausgebildete Menschen sein, sondern einfach nur Menschen, ein offenes Ohr haben, helfen wollen, Konflikte minimieren wollen. Wir würden ganz viel Wert drauf legen, dass wir viel zusammen machen und jeder das Recht hat, mitzugestalten. Und dass wir nicht vom Jugendamt oder Vermieter in irgendwelche Klischees gedrückt und immer wieder an das System angepasst werden, so wie die Straßenkinder es gewöhnt sind, sondern dass wir zusammen das System erarbeiten.

 

Wie geht’s dann mit Dir weiter nach der Bundeskonferenz?

Ende des Monats bekomme ich Bescheid, ob ich soziale Arbeit studieren kann an der Fachhochschule, genau da, wo ich’s machen möchte. Ich hoffe sehr, dass es klappt. Und dann, ja dann, werde ich anfangen zu studieren, soziale Arbeit auch professionell ausüben zu können.