Mit so klugen Sachen

Interview Manuela, Sozialarbeiterin bei „Notschlafstelle 58“ in Essen

 

Manuela: Ich bin Manuela, bin seit 16 Jahren Sozialarbeiterin und arbeite von Anfang an der „Notschlafstelle 58“ in Essen.

 

Du bist auch in diesem Jahr wieder mit einer Gruppe von Jugendlichen der „Notschlafstelle 58“ in Essen hier zur Bundeskonferenz gekommen, Du warst ja auch schon vor zwei Jahren da. Warum kommt Ihr regelmäßig zu den Bundeskonferenzen der Straßenkinder?

 

Manuela: Wir waren sogar schon bei der ersten Bundeskonferenz vor drei Jahren dabei und waren sogar zu den allerersten Vorbereitungstreffen. Und ich muss zugeben: Ganz am Anfang war das für mich total experimentell, weil ich gedacht habe, na gut, da gibt’s jetzt welche, die haben Bock, dann lass die mal fahren, und wir gucken uns das mal an. Ich hatte schon, das muss ich zugeben, so ein bisschen die Befürchtung, dann halten sie das vielleicht nicht durch oder sie langweilen sich, aber wir machen’s jetzt mal, keine Ahnung, was jetzt dabei rumkommt... Ich war auch echt kritisch oder skeptisch, und dann war die Vorbereitungszeit schon, die Leute, die da waren, die waren die ganze Zeit am Ball und die waren total interessiert, die kamen total begeistert zurück, die waren total verbindlich.

 

Als wir dann zur ersten Konferenz gefahren sind, ich glaube auch zu einer unmöglichen Zeit, 6 Uhr morgens, standen alle Leute da – alle, die sich angemeldet hatten, total pünktlich – und haben die ganze Konferenz total diszipliniert und wirklich mit so klugen Sachen, die sie gesagt haben, durchgezogen. Sie waren auch total begeistert am Ende, dass auch  ich danach vollkommen überzeugt war. Ich habe nur gedacht: Ich glaube, wir haben einfach ganz oft irgendwie nicht die spannenden Fragen gestellt. Das war einfach nur das Ergebnis, dass die Leute vorher unverbindlich waren, sich nicht richtig interessiert haben, das war auch das Ergebnis davon, dass wir nicht die richtigen Sachen gefragt und vielleicht auch nicht das gefunden haben, wo sie sich wirklich für interessieren konnten.

 

Damit hatte sich für mich die Frage nach dem Sinn der Konferenz echt erledigt. Ich finde es bis heute total beeindruckend, und das ist auch immer noch so.  Hier sitzen Leute und diskutieren, die normalerweise, wenn sie sich im HPG irgendwie mal 30 Minuten konzentrieren müssen, ganz gestresst sind. Und die haben hier einen sechsstündigen Workshop und ziehen total durch. Und zum ersten Mal sind auch wir Sozialarbeiter*innen so ein wenig gezwungen, uns anzuhören, was sie zu sagen haben, und müssen das auch erstmal unkommentiert stehen lassen – das heißt ja auch nicht, dass man nicht anderer Meinung sein darf – aber es hat schon eine ganz andere Wirkung, wenn man es nicht direkt kommentiert, wenn man nicht direkt aus Pädagogen- oder Sozialarbeitersicht was dazu sagt, sondern wirklich erstmal einfach untereinander das Thema erarbeitet und sich anhört. Da sind Sachen dabei, bei denen ich echt denke: Da bin ich nach zehn Jahren Sozialarbeit nicht mal drauf gekommen. Manchmal bin ich auch anderer Meinung, klar, aber insgesamt finde ich das wirklich sehr beeindruckend.

 

Gibt es denn etwas, das man noch besser machen kann?

 

Manuela: Was man noch besser machen kann? Auf der Konferenz? Weiß ich gar nicht... Ich glaub nicht, dass man viel anderes noch machen könnte als so wie’s jetzt gelaufen ist. Ich finde es auch super organisiert, ich finde den Rahmen, selbst wenn es mal ein bisschen kleiner ist, super, weil es dann wieder im Austausch viel intensiver ist. Ich finde es auch super – das war ja schon eine Steigerung – dass die Jugendlichen jetzt viel mehr selber übernommen haben. Also die ersten Konferenzen, da war der Rahmen noch sehr viel mehr geprägt durch die Organisationen und die Einrichtungen. Jetzt haben die Jugendlichen ja fast alles selber gemacht.

 

Ich würde uns manchmal wünschen für die Einrichtungen, dass wir mehr mitkriegen, was zwischendurch so läuft, also in den Vorbereitungen und in der Zeit dazwischen, dass wir uns auch unter uns Sozialarbeiter*innen mehr austauschen würden, das fehlt mir ein bisschen. Dass wir eigentlich auch diesen Prozess, der da gerade so angestoßen ist, dass wir den ja auch für uns bewerten und verfolgen müssen: Wo wollen wir damit hin, und was verändert sich, und dass wir uns darüber zu wenig austauschen. Aber das betrifft nicht die Jugendlichen oder den Rahmen der Veranstaltung, ich glaube, das ist etwas, wo wir Sozialarbeiter*innen noch mit müssen.

 

Dann werdet Ihr nun auch in Essen ein MOMO-Büro ausprobieren?

Manuela: Das würde ich mir ja sehr wünschen, aber da sind leider gerade noch verschiedene andere Hürden zu nehmen. Aber der Aspekt an sich, die Selbstorganisation der Jugendlichen zu fördern und vor allem die eigentlich bei jedem einzelnen Thema und jedem Konzept, das wir machen, die selber mit reinzunehmen, das haben wir hier bei der Bundeskonferenz jetzt schon alle gelernt.

 

In Essen wird gerade ein Konzept geschrieben, an dem wir auch beteiligt sind, für – in Anführungszeichen – „entkoppelte Jugendliche“. Damit habe ich vorige Woche angefangen, gerade daran habe ich eben noch gedacht. Da ist mir noch mal so bewusst geworden, es ist schon wieder so, dass man plant: Die Angekoppelten machen für die vermeintlich Entkoppelten etwas, mit dem sie angekoppelt werden sollen, und am Ende bewerten die Angekoppelten, ob Entkopplung oder Abkopplung oder Wiederankopplung stattgefunden hat... Das ist doch irgendwie schräg!

 

Hier bei der Bundeskonferenz beweist sich ja eigentlich, dass die entkoppelten Jugendlichen das selber können – und dass sie sich eben gerade dann auch wieder beteiligter fühlen und angeschlossen, wenn sie selber formulieren, selber gefragt werden. Ich glaube, da müssen wir echt hin. Ich habe eben noch gedacht: Sobald es dieses Konzept gibt, müssen wir die Jugendlichen mit an den Tisch setzen und in zwei Jahren können wir dann nicht selber schreiben, hat es funktioniert oder nicht? Oder, wir hatten so und so viele Fallzahlen. Stattdessen müssen da die Jugendlichen sitzen, die sagen, so und so ist es für uns gelaufen, das und das war gut, das und das war nicht gut. Sie müssen es eigentlich selber bewerten, ist es was, was taugt für sie oder nicht. Damit will ich nicht alles abgeben – ich finde schon, dass Sozialarbeit seine Berechtigung, seine Rolle auch in dem Ganzen behält, aber es muss eben eine andere Gewichtung bekommen.